Eine neue Zeit (1958 – 1966)

Auf dem Gewerkschaftstag am 19. Mai 1958 konnte sich der Kollege Karl-Heinz Hartmann durchsetzen und wurde zum neuen Vorsitzenden gewählt. Zwar erhielt er nur 203 der abgegebenen 616 Stimmen, dennoch reichte dies für die Wahl aus. Auf dem Gewerkschaftstag am 20. Mai 1960 wurde der frühere Vorsitzende Kollege Robert Born zum Ehrenvorsitzenden gewählt.  

Im weiteren Verlauf wurde Kollege Karl-Heinz Hartmann zum stellvertretenden Landesvorsitzenden des dbb Landesbundes und zum stellvertretenden Bundesvorsitzenden des BDSt gewählt. Mit dem Amt des stellvertretenden Bundesvorsitzenden war er auch Mitglied des Bundeshauptvorstandes des dbb. Später kam auch die Ernennung durch den Senat zum Mitglied des Landespersonalausschusses dazu. 

Es kamen die Jahre, in denen es laufend um die Anpassung der Besoldung ging (immer hinterher hinter der laufenden Steigerung des Einkommens der Bevölkerung), in denen Jahr für Jahr um die notwendigen Verbesserungen der Stellenpläne gerungen werden musste. Das gesamte hamburgische Dienstrecht musste überarbeitet, an das neue Bundesrecht und an die neuen staatlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse angepasst werden. Dabei bewährte sich bei enger Koordination die Arbeitsteilung zwischen Personalrat und BDSt. 

Während der Personalrat die Verbindung gegenüber der OFD pflegte, war es Aufgabe des BDSt, gegenüber Senatoren der Finanzen, Finanzbehörde, bei den Fraktionen der Bürgerschaft und bei den Parteien die Interessen der Kollegen zu vertreten. Ein Feld, das zu beackern wir erst tatkräftig ab 1958 anfangen konnten. Daneben wurde die Neu-Organisation unseres Verbandes in Angriff genommen. Auch wurde durch die intensive Arbeit die Zahl der Mitglieder kräftig erhöht. Der BDSt kam zu dieser Zeit auf weit über 90% aller Steuerbeamten in Hamburg. 

Es gab neben dem BDSt keine andere Gewerkschaft, die für die Steuerbeamten sprechen konnte. Wohl gemerkt nur für die Beamten. 

Auf Grund dieses hohen Anwuchses an Mitgliedern wurde die Durchführung der Mitgliederversammlung zu kompliziert und der BDSt als solcher zu unbeweglich. Zum Zeichen, dass der BDSt Hamburg auf die Landespolitik Einfluss nehmen wollte, wurde er in Landesverband umbenannt. Die Arbeit an einer vollständigen neuen Satzung nahm jedoch viele Jahre in  Anspruch.

Im Zusammenhang dieser Diskussion kam auch das Thema Doppelmitgliedschaften auf. Zu diesem entspannte sich eine tiefgreifende Diskussion innerhalb der BDSt. Letztlich wurde 1964 vom Landesvorstand und Hauptvorstand ein Beschluss gefasst, dass es mit der Mitgliedschaft im BDSt unvereinbar ist, auch in anderen gewerkschaftlichen Organisationen Mitglied zu sein. Damit wurde der Diskussion um Doppelmitgliedschaften ein Ende gesetzt. Die Arbeiten an der neuen Satzung mündete 1962 in deren Annahme und ihrer Eintragung. Das oberste Organ wurde eine Vertreterversammlung. Die Kollegenschaft wurde in Ortsverbänden organisiert. Ausführende neue Ordnungen wurden beschlossen (z.B. für Beitrag, Wahlen, Schiedsgericht). Jedes Mitglied wurde zur Mitarbeit, durch zahlreiche Versammlungen und durch laufende Rundschreiben und vor allem durch die fleißige Arbeit der neuen Ortsverbandsvorsitzenden, aufgefordert. 

Die parteipolitische Uninteressiertheit vieler damaliger Kollegen, auf Tradition beruhend, wurde aufgebrochen. Politische Arbeitskreise bildeten sich und nahmen für den BDSt Verbindungen zu den politischen Gremien aller Richtungen auf. Die Zeiten, dass sich ein Beamten-Verband regierungsfromm aufführte, sollten endgültig vorbei sein. 

Ein anderer Punkt war wieder die Frage der Neutralität oder Unabhängigkeit. Wobei es bei der Neutralität nicht darum ging, gegenüber politischen Strömungen neutral zu bleiben, sondern viel mehr um die Frage, ob man bereit ist sich einzumischen und für seine eigenen Belange einzustehen und zu streiten. 

In den 1950er Jahren hielten es viele Verbände der Beamtenschaft für geboten, politisch streng neutral zu sein. Der Landesvorstand hat in dieser Zeit dafür gestritten, dass diese Einstellung als unabdingbarer Grundsatz verschwand. Diese Einstellung gehörte in den vergangenen Obrigkeitsstaat. Der Landesvorstand konnte sich letztlich durchsetzen, so dass es zum gewerkschaftlichen Selbstverständnis des BDSt, bzw. der heutigen DSTG gehört,  unabhängig zu sein und zu bleiben. Der BDSt konnte ab diesem Zeitpunkt für die berufsbedingten Interessen im politischen Raum auch kämpferisch und parteiisch auftreten. Auch wenn dieser Ansatz sowohl in der Kollegenschaft, wie auch außerhalb des BDSt umstritten war, hat er sich heute durchgesetzt. In diesem Zusammenhang wurde aber auch über die Mitgliedschaft im dbb innerhalb des BDSt gestritten. 

Die Mitgliederversammlung 1960 beschloss einen Antrag zur Prüfung der Mitgliedschaft und sah es nicht mehr als gegeben an, dass man unbedingt im dbb bleiben muss. Im Wesentlichen kreiste der Streit darum, dass sich die im BDSt organisierten Steuerbeamten nicht ausreichend durch den dbb vertreten sahen. Insbesondere im Hinblick auf die magere Besoldung der Steuerbeamten gab es grundlegende Vorbehalte. Letztlich aber blieb der BDSt im dbb und ist dies bis zum heutigen Tag. Die Verbundenheit der heutigen DSTG mit dem dbb hat auch in der aktuellen Satzung ihren Niederschlag gefunden, indem dort satzungsmäßig die Verbundenheit zwischen DSTG und dbb verankert ist. Dies bedeutet aber nicht, dass es nicht auch mal zu unterschiedlichen Auffassungen und Ansichten kommen kann. Schließlich geht es aber darum, gemeinsam im dbb mit allen weiteren Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes, für die Interessen aller Kolleginnen und Kollegen zu streiten.

In den Jahren wogte auch die Debatte: Streikrecht für Beamte, ja oder nein. Diese Auseinandersetzung ist gewerkschaftspolitisch in den 1 960er Jahren für den BDSt und den dbb entschieden worden. Der BDSt und der dbb haben sich damals dafür ausgesprochen, ein Streikrecht abzulehnen, da dies mit den verfassungsrechtlichen Gegebenheiten des Berufsbeamtentums nicht im Einklang steht. Auch heute wird diese Frage wieder viel bewegt. Die DSTG steht hier weiterhin auf dem Standpunkt, dass gerade im Bereich der Eingriffsverwaltung eine Streikmöglichkeit für Beamte nicht angemessen ist. Der Staat muss in seinen wesentlichen Kernbereichen auch in einer Streikphase arbeitsfähig und aktiv bleiben. Geblieben ist damals aber das Bewusstsein, dass auch ein Beamter schließlich seine „Arbeitskraft“ verkauft, um sich und seine Familie zu ernähren, dass er also in einem Boot sitzt mit allen Arbeitnehmern – ob Angestellter oder Arbeiter -, ob im öffentlichen Dienst oder in der privaten Wirtschaft. Dass auch die Solidarität der Beamtenschaft mit allen Nichtselbstständigen gefragt ist. Heute genauso wie in den 1960er Jahren. Daher ist es für die DSTG selbstverständlich, gemeinsam, über die Statusgruppen hinweg, für die berechtigten Interessen aller im öffentlichen Dienst einzustehen. Lt. Kollegen Karl-Heinz Hartmann ging es in seiner Amtszeit auch darum, überholte Traditionen zu beseitigen. Nach seiner Ansicht würden manche Kollegen die dienstlich notwendigen Hierarchien in der Verwaltung auch als gesellschaftliches Maß aller Dinge missverstehen. Bei einigen Kollegen war unangebrachte Unterwürfigkeit nicht zu übersehen, bei anderen kam Gehabe von Feudalismus und Paternalismus vor. So war es wohl üblich – heute etwa noch? –, dass Dienststellenleiter bei öffentlichen Veranstaltungen jeglicher Art nicht nur im Namen der Dienststelle, sondern auch im Namen ihrer Mitarbeitenden sprachen, obwohl die sie ja nicht gewählt hatten und auch nicht gefragt worden waren. Es war auch eine verbreitete Übung, Amtsbezeichnungen als vermeintliche Titel zu gebrauchen und als Anrede zu benutzen. Kollege Hartmann verfasste gegen diese Unsitte ein polemisches Rundschreiben unter der Überschrift „Tituliererisches-Tierisches“. Zeitgleich liefen im damaligen Beamtenrechtsausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft die letzten Beratungen über das neue Hamburgische Beamtengesetz. Die Abgeordneten empfanden das Problem zwar als lächerlich, wollten uns aber, wenn es denn ein Problem wäre, den Gefallen tun, den in der Bundesrepublik wohl einmaligen Satz in den damaligen §90 (Amtsbezeichnungen) Absatz 2 einzufügen, der da lautet: „Der Beamte hat jedoch keinen Anspruch darauf, mit der Amtsbezeichnung angeredet zu werden“. 

Die Berichterstatterin des Ausschusses, Frau Rauschning-Asher, fand in der letzten Lesung im Plenum die plattdeutsch-deutlichen Worte: „In Hamborg givt dat den Paster, den Senater un den Dokter; sünst kennt wi keene Titel.“ 

Eine ganz große Aufgabe in den 1960er-Jahren war der Kampf um eine gerechte Bewertung der Tätigkeit der Steuerbeamten. Noch Ende der 1950er-Jahre ging die große Mehrzahl der -beispielsweise – Sachgebietsleiter in der Veranlagung oder etwa der Konzernbetriebsprüfung in der Großbetriebsprüfung als Oberinspektoren in Pension. Der jahrzehntealte sogenannte Stellenkegel regierte. Er musste überwunden werden, was schließlich zum Teil gelang, in jeweils Jahr um Jahr hart erkämpften Schritten. 

Zwar bleibt es – im Hinblick auf die sich ständig wandelnden Aufgabenstrukturen – eine Daueraufgabe, die leistungsgerechte Einordnung der unterschiedlichen Tätigkeiten in das Besoldungsgefüge zu erhalten, aber das hat der BDSt damals erreicht: der „Stellenkegel“ als „Kegel“ und die „Ochsentour“, d.h. das Ersitzen eines Beförderungsamtes, waren weg, wenn es auch manche Journalisten und insbesondere die Karikaturisten noch nicht erkannt haben. Dem Gesetzgeber, der Verwaltung und allen Bediensteten ist es heute selbstverständlich, dass für eine Beförderung in ein höherwertiges Amt die Erlangung eines entsprechend bewerteten Dienstpostens Voraussetzung ist. Leider ist es heute umgekehrt nicht mehr immer selbstverständlich, dass für ein entsprechend bewerteten Dienstposten eine entsprechend leistungsgerechte Bezahlung notwendig macht. Hier bedarf es noch weiterer Anstrengungen, um zum einen den Gesetzgeber und zum anderen den Senat zu überzeugen. 

Der EhrenvorsitzendeKollege Karl-Heinz Hartmann, der sich in seiner achtjährigen Amtszeit intensiv für die Belange der Kolleginnen und Kollegen eingesetzt hat und versuchte, das alte Denken aufzubrechen und in die neue Zeit zu überführen, verstarb im Alter von 79 Jahren kurz vor dem Steuergewerkschaftstag 1997. Wer ihn kannte, wird seine klare Denkweise und seine geschliffene Art zu reden in Erinnerung haben. 

Wir werden ihm ein ehrendes Andenken bewahren.