Neue und alte Probleme (1971 – 1979)

 Nach 8 Jahren Vorstandsarbeit als Beisitzer, Schriftführer und stellvertretender Vorsitzender wurde ich auf dem Landesverbandstag des Bundes Deutscher Steuerbeamten Hamburg 1971 zum Vorsitzenden gewählt und habe diese Tätigkeit wiederum 8 Jahre bis zum SteuerGewerkschaftstag 1979 ausgeübt. 

Es war eine unruhige Zeit, weil zwanzigjährige grobe Versäumnisse im Steuerwesen riesige Problemberge aufgeschichtet hatten – Der Steuerdschungel war für alle Beteiligten nahezu undurchdringlich geworden und hatte zu unvorstellbaren Arbeitsexplosionen geführt. Die amtliche Personalbedarfsberechnung dokumentierte riesige Lücken im Personalbestand ( 2 Kollegen mussten für 3 arbeiten). Die Abwanderung qualifizierter Steuerbediensteter nahm immer mehr zu (ca. 1.000 bundesweit, ca. 100 in Hamburg pro Jahr). Völlig veraltete Organisationsformen, der Mangel an Arbeitsmitteln und Unterbringung, eine verschleppte Bildungsreform, dringend notwendige Steuervereinfachungen (Steuerreform), verzerrte und ungerechte Bewertungen usw. erheischten Gesamtlösungen im Sinne grundlegender Reformen und duldeten nicht länger halbherziges Flickwerk. Zu einigen grundlegenden Problemen nehme ich aus der Erinnerung Stellung, ohne auf das Tagesgeschäft der Gewerkschaft in Bezug auf das Mitwirken bei den jährlichen Besoldungs- und Tarifrunden, die Sozialarbeit und die ständige Festigung der innergewerkschaftlichen Solidarität näher einzugehen. Dies war und ist für meinen Vorgänger und für meinen Nachfolger ein dauernder Prozess gewerkschaftlicher Aktivität. 

l. Steuerpolitik – Ein entscheidender Durchbruch, den Steuerbürgern den Steuerwirrwarr sowie die ungleiche und ungerechte Besteuerungspraxis vor Augen zu führen, gelang mit der Aktion ”Dienst nach Recht und Gesetz in der Steuerverwaltung”, zu der die Gewerkschaft ab 1. Januar 1971 das Personal der Steuerverwaltung aufgerufen hatte. Diese Notwehraktion der Angehörigen der Steuerverwaltung fand durchweg ein positives Echo in der Öffentlichkeit und wurde durch die Massenmedien durchweg unterstützt. Nur die Steuerpolitiker ließen den Hilferuf nach Steuervereinfachung letztlich unbeantwortet. Nach der Vorlage des Gutachtens und des Minderheitsgutachtens zur sogenannten Steuerreform beschloss die Bundesregierung im Juni und Oktober 1971 Eckwerte zur Steuerreform. Wir haben diese Eckwerte scharf kritisiert, weil sie die bestehende Rechtslage nicht vereinfachten, sondern weiter verkomplizierten und weil der gebotene Sozialausgleich weitestgehend auf der Strecke blieb.  

Unter dem Titel „Sofortprogramm zur Steuerreform” legte der BDSt in 1972 eine Broschüre mit Grundsatzforderungen zur Steuerreform vor, aus der ich den Einbau der Kfz-Steuer in die Mineralölsteuer, ein vereinfachtes Veranlagungsverfahren, Neuregelungen für den Sonderausgabenabzug und den Abbau überholter Steuervergünstigungen und Subventionen erwähnen möchte. 

Es ist auch darauf hinzuweisen, dass die Öffentlichkeitsarbeit des BDSt in Sachen Steuerpolitik weit über den Aktionsradius einer Fachgewerkschaft hinausging. Allein der Hamburger Vorsitzende hielt weit über 50 Vorträge bei anderen Gewerkschaften, Betriebs- und Personalräten, Berufsverbänden, in Wirtschaftskreisen und im politischen Raum. 

Erfolg war, dass sich die Öffentlichkeit weitestgehend mit den Vorstellungen des BDSt über Steuergerechtigkeit durch Steuervereinfachung identifizierte. Auch die Kammern und Verbände der steuerberatenden Berufe und der Bund der Steuerzahler solidarisierten sich weitgehend mit uns in gemeinsamen Appellen. Ein auf Drängen der DSTG von den Finanzministern vorgelegtes ”Blaubuch zur Lage der Steuerverwaltungen der Länder” resignierte jedoch vor einer Vereinfachung und stellte fest: ”Ein einfaches Steuerrecht kann es unter den heutigen Lebensverhältnissen nicht mehr geben”.

Ein von der Gewerkschaft erarbeitetes ”Anti-Blaubuch” wurde 1978 veröffentlicht und konkretisierte die steuerpolitischen Forderungen der DSTG. Bis heute sind die Diskussionen über Steuerreform und Vereinfachung im Gange geblieben, ohne dass sich allerdings konkrete und gesetzgebungsreife Vorschläge abzeichnen, die den Titel „Steuerreform” wirklich verdienen. Aus der Fülle der begrüßenswerten Modelle seien die Veröffentlichungen der Finanzminister Gaddum (Rheinland-Pfalz) sowie von Dr. Seeler und Gobrecht (Hamburg) erwähnt. Auch die jetzt laufende Steuerreform trog unsere Hoffnungen und ist allenfalls als erweitertes Steueränderungsgesetz zu werten. 

2. Neuorganisation der Steuerverwaltung – Während wir bei der Steuerreform vergeblich auf notwendige Hilfestellungen des Gesetzgebers warteten, war die Neuorganisation eine Möglichkeit, mit der sich die Verwaltung hätte selbst, d.h. aus eigener Kraft helfen können. Anfang 1971 hatte ein Arbeitsausschuss für Fragen der Neuorganisation der Finanzämter und des Besteuerungsverfahrens seinen Bericht vorgelegt, der im Grundsatz auf Vorschlägen der Gewerkschaft aus dem Jahre 1959 beruhte. 

Daraufhin wurden in allen Ländern Versuchsfinanzämter eingerichtet und auch in Hamburg wurde mit der Neuorganisation beim FA Hamburg-Eimsbüttel (Eimsbüttler Modell) begonnen. Nicht nur, weil sich in den Ländern die Modelle unterschiedlich entwickelten, sondern auch aus anderen Gründen gab es viel unnötige Reibungen. Die neue Abgabenordnung, der Ausbau der elektronischen Datenverarbeitung, funktionsgerechte Bauten und Ausstattungen der Arbeitsplätze, die berufliche Bildungsreform, der Abbau der Personalfehlstellen, die gerechte Bewertung und Bezahlung u.v.a.m. standen aus. Der Kern für eine Auseinandersetzung zwischen Gewerkschaft und Verwaltung, aber auch für eine breite innergewerkschaftliche Diskussion ging ferner um die Aufteilung der Fälle der Fallgruppe 2 in einen G (=Gewinn) und einen Ü (=Überschuss) Bereich.

Die DSTG Hamburg hat von Anfang an konsequent den Standpunkt vertreten, im Bereich der Fallgruppe 2 keine Aufteilung in G + Ü vorzunehmen und hat im Oktober 1973 in einem Schreiben an die Bundesleitung der DSTG vor den negativen Folgen, vor allem vor einem Rückschritt in der besoldungsmäßigen Bewertung gewarnt (Amtsprüfer 2 = A 9). Die Negativäußerungen der Verwaltung führten natürlich zu einer erheblichen Unruhe bei den Kollegen in den neuorganisierten Ämtern. Alle negativen Feststellungen zum mittleren Dienst konnten auf einer Versammlung der DSTG, an der die Vorsteher und Kollegen des mittleren Dienstes aus neuorganisierten Finanzämtern beteiligt waren, ausgeräumt werden. 

Um dem Finanzsenator und dem Bundesvorsitzenden der DSTG die Sorgen und Nöte der Kollegen unmittelbar nahe zu bringen, führte der Landesverband am 12.06.1974 ein Hearing zur Neuorganisation durch. Als Ergebnis dieses Hearings wurden in den meisten Punkten der DSTG-Forderungen Übereinstimmung mit der Finanzbehörde erzielt. In 1975 wurde ein modifiziertes Modell vorgeschlagen, das auch durch die zwischenzeitlich auf Bundesebene von den Finanzministern beschlossenen Grundsätze zur Neuorganisation der FÄ (GNOFÄ) abgedeckt war. In der zweiten Hälfte der siebziger Jahre ging es dann überwiegend um das sog. ”Integrierte Steuerfestsetzungs- und –erhebungsverfahren (INFES). Kassenabschlüsse wurden nur zu 10 % zeitgerecht geliefert, Abfragegeräte fielen arbeitstäglich mehrere Stunden aus, Programm- und Software-Fehler, die Übernahme fehlerhafter Sollkarten und viele andere Dinge führten zu fast chaotischen Zuständen in der Steuerkasse.

Hinzu kam in der Anfangsphase, dass das Zusammenspiel zwischen Steuerfestsetzung und -erhebung mangels ausreichender Fortbildung der Kollegen nicht oder kaum klappte. Steuerbürger und -berater ruderten ebenfalls mit der Stange im INFES-Nebel, so dass es schließlich zu einem offenen Brief der Steuerberaterkammer, zu mehreren Anfragen in der Hamburger Bürgerschaft und zu einer Untersuchung des Finanzamtes für Steuererhebung durch eine privatwirtschaftliche Firma („Orga-Meyer”) kam. Eine seit 1980 verbesserte und gefestigte Technik, der Einsatzwille und die Wendigkeit der Bediensteten und ein zwischenzeitlich zufrieden gestellter Bürger haben auch dieses Verfahren nach vielen Geburtswehen zu einem Erfolg werden lassen.

3. Die Bildungsreform – Die Neuordnung der beruflichen Bildung nahm ebenfalls in der Gewerkschaftsarbeit einen breiten Raum ein. Der Regierungsentwurf eines Steuerbeamten-Ausbildungsgesetz lag vor und seine Verabschiedung in 1972 stand vor der Tür. Die Auflösung des Deutschen Bundestages im Herbst 1972 lähmte alle politischen Aktivitäten. Es war wiederum die  Stunde Null erreicht und es musste erneut zäh und massiv verhandelt werden, bis endlich 1973 nicht die Bundespolitik, sondern das Land Baden-Württemberg einen Initiativentwurf in den Bundesrat einbrachte. Dann erst legte der Bundesminister der Finanzen einen entsprechenden Entwurf vor. Es bedurfte noch vieler gewerkschaftlicher Initiativen und Aktivitäten (z.B. Großkundgebung in Bonn 1974) bis endlich am 1. Juli 1976 das StBAG vom Deutschen Bundestag verabschiedet wurde.

 Dieser bemerkenswerte Erfolg zum Zeitpunkt einer restriktiven Politik im Bereich des öffentlichen Dienstes war ganz offenkundig auf die zähe, unverdrossene und nachdrückliche bildungspolitische Arbeit der DSTG in Bund und Ländern zurückzuführen. 

Es wurden zwar nicht alle gewerkschaftlichen Forderungen erfüllt, es kam aber zu einer Vielzahl von Verbesserungen (z.B. Fachhochschulen, Aufstiegssicherung, prüfungsfreier Aufstieg usw.). 1977 kam es dann zu der neuen Ausbildungs- und Prüfungsordnung (StBAPO). Es bedurfte aber auch weiterhin eines dauernden Engagements der DSTG um in der weiteren Fortentwicklung auch auf Landesebene wirklich das Ziel einer Reform der Steuerbeamten-Ausbildung zu erreichen. Die Fortentwicklung der Fortbildung war ebenfalls unerlässlich und eine dauernde Aufgabe. Auf letzterem Gebiet konnte Hamburg als federführend im Bundesgebiet angesehen werden.

4. Bewertung und Bezahlung der Steuerbediensteten – Die gerechte Bewertung und Bezahlung des Personals bildete das klassische Arbeitsfeld der Gewerkschaft. Sie stand auch 1971 bis 1979 im Mittelpunkt der DSTG Gewerkschaftsarbeit. Das in diesem Zeitraum erreichte kann sich – so meine ich – sehen lassen. In einer Zeit, in der das Moratorium der Bundesregierung, Haushaltsstrukturgesetz, Sparbeschlüsse des Senats, O-Stellenpläne, Stellenplanobergrenzen restriktive Rahmenbedingungen schaffen, war es gelungen, Jahr für Jahr durchschnittlich 200 Stellenhebungen durchzusetzen. Auch für die Tarifangehörigen konnten nicht unerhebliche Verbesserungen in der Eingruppierung erreicht werden. Im Vergleich zu den übrigen Bundesländern konnte die DSTG in Hamburg die führende Position hinsichtlich des Stellenschlüssels halten. 

Wir waren damals der einzige Landesverband, der die A 12 Bewertung auf der Sachbearbeiter Ebene durchgesetzt hat, sieht man einmal von Einzelposten in den anderen Bundesländern ab. In allen Spitzenpositionen der Laufbahnen (A5, A9, A13 und A16) waren wir bundesweit federführend. Kurzfristig hatten wir sogar einen ”B 2- Vorsteher” (FA für Körperschaften). 

Nachdem das 2. BesVNG die festgelegten Stellenplanobergrenzen unverändert ließ, hatte die DSTG sich verstärkt der sachgerechten Ausgestaltung der Rechtsverordnung gem. § 65 Abs. 6 Satz 3 BbesG gewidmet. Hier konnten in Hamburg erfreuliche Erfolge durchgesetzt werden. Es wurde erreicht, dass die Möglichkeiten der Stellenplanobergrenzen (allgemeiner Schlüssel und Sonderschlüssel) als Mischstellenschlüssel für den gesamten Bereich der Steuerverwaltung angewandt wurde. 

Nachdem 1972 die Satzung der Gewerkschaft bundesweit für Angestellte und Arbeiter geöffnet war, wurde gerade auch in Hamburg die Tarifarbeit mit Macht gefördert und in wenigen Jahren eine hohe Mitgliederzahl in diesem Bereich erzielt. Auf Anhieb gewannen wir 1973 die Mehrzahl der Personalratssitze und der Kollege aus dem Tarifbereich Otto Tetzel wurde stellvertretender Personalratsvorsitzende. Über die GGVÖD (Gemeinschaft von Gewerkschaften und Verbänden des öffentlichen Dienstes – Vorgänger der dbb Tarifunion) als Spitzenorganisation war die DSTG seit 1974 direkt an den mündlichen Tarifverhandlungen beteiligt. 1976 wurde in Hamburg zwischen der GGVÖD, DAG und dem Marburger Bund eine Tarifgemeinschaft für Angestellte im öffentlichen Dienst gegründet. In die gemeinsame Tarif- und Verhandlungskommission wurden für die DSTG die Kollegen Westphal und Tetzel entsandt. Um den Führungsanspruch der Gewerkschaft im Gesamtbereich des Steuerpersonals zu unterstreichen, wurde der altbewährte Name „Bund Deutscher Steuerbeamten“ (BDSt) in „Deutsche Steuer-Gewerkschaft“ (DSTG) umgewandelt und zwar auf Hamburger Initiative (23.06.1973 = Land; 12.05.1976 = Bund).

„Vielleicht stellvertretend für viele Kolleginnen und Kollegen dieser Jahre sei noch dem Kollegen Gobrecht gedankt, weil er von 1971 bis 1976 dem Vorstand der DSTG Hamburg angehörte und weil er bis 1987 als Finanzsenator unsere Belange an maßgebender Stelle verantwortet hat. Zu danken habe ich allen Kolleginnen und Kollegen sowie unseren Freunden und Förderern in allen Bereichen.“ 1979 wurde dem Kollegen Horst Schmidt die Ehre zu Teil und er wurde vom Gewerkschaftstag zum Ehrenvorsitzenden ernannt. Er verstarb am 6. Juli 1995 nach schwerer Krankheit. 

Die DSTG wird Horst Schmidt ein ehrendes Andenken bewahren.