Raus in die Öffentlichkeit (1988 – 2003)

 Im Jahr ihres 40jährigen Bestehens wählte die DSTG mit Helga Schulz erstmals eine Frau an die Spitze und sie sollte einen wesentlichen Beitrag zur Weiterentwicklung der Gewerkschaftsarbeit leisten. Ihre Amtszeit war gekennzeichnet von einem ständigen Senatorenwechsel und einem unermüdlichen Kampf der DSTG gegen Spareingriffe. Wenige Monate nach ihrer Wahl wurde Finanzsenatorin Elisabeth Kiausch, die uns wegen ihrer besonders harten Eingriffe in unsere Verwaltung, nicht sehr nahe stand, von Prof. Dr. Hans-Jürgen Krupp abgelöst. 

Mit ihm kamen wir zunächst vom Regen in die Traufe. Er setzte sich überall ins Bild, nur um seine Steuerverwaltung kümmerte er sich nicht. Schließlich griff die DSTG zu einem ungewöhnlichen Mittel. Sie lud die Vorsteher der Finanzämter zu einem Gespräch und veröffentlichte deren Klagen über die desolaten  Zustände. Das führte zur Schlagzeile und ausführlichen Berichterstattung im Hamburger Abendblatt. Daraufhin war Senator Prof. Dr. Hans-Jürgen Krupp endlich bereit, seine Versäumnisse aufzuarbeiten. Er begann, die Steuerverwaltung aus den verschärften Sparmaßnahmen herauszulösen. Wir unterstützten dies mit stärkerer Öffentlichkeitsarbeit, z.B. Informationstagen auf dem Gerhard-Hauptmann-Platz, und fanden Unterstützung in den Medien. Gerade als eine vertrauensvolle und gedeihliche Zusammenarbeit zwischen der DSTG und dem Senator entstanden war, wechselte er das Amt im Senat. Im Juni 1991 wurde Wolfgang Curilla Präses der Finanzbehörde. Mit ihm hatten wir von Anfang an einen Partner, der wusste, dass ohne funktionierende Steuerverwaltung die Haushaltslage immer schlechter werden musste. Er betrachtete unsere öffentlichen Aktionen (Unterschriftensammlung und Überreichung eines Bittbriefes vor der Finanzbehörde) daher nicht als Angriff gegen ihn, sondern als notwendige Unterstützung seines Einsatzes für die Steuerverwaltung.

Im Dezember 1993 wurde Wolfgang Curilla von Ortwin Runde abgelöst. So traurig wir zunächst waren, dass wir einen Senator verloren, der verinnerlicht hatte, dass Politik ohne funktionierende Einnahmeverwaltung nicht möglich ist, so sehr wurden wir überrascht: mit Ortwin Runde fanden wir nicht  nur einen Senator, der erstaunlich lange in diesem Amt blieb, sondern auch jemanden, der die Steuerverwaltung in ihrem Kernbereich aus den immer schärfer werdenden Sparmaßnahmen heraus hielt. 

Im November 1997 wurde Ortwin Runde Hamburgs  Erster Bürgermeister, neue Finanzsenatorin wurde die bisherige Staatsrätin der Finanzbehörde Dr. Ingrid Nümann-Seidewinkel. Trotz der schon zitierten Spareingriffe, konnte die DSTG in diesen 10 Jahren einige Erfolge erzielen:

• Die Absenkung der Eingangsbesoldung wurde zurückgenommen

• Das Eingangsamt A6 für den mittleren Dienst der Steuerverwaltung wurde eingeführt

• Unsere Anwärter wurden übernommen (manchmal erst nach entsprechendem Protest)

• Das Spitzenamt A 16+Z wurde für vier Vorsteher ausgewiesen

• Verbesserung der Ausstattung mit IuK – Technik (nach vielen Protesten) 

Gekennzeichnet wurde die Lage der Steuerverwaltung weiterhin von einem wahren Chaos in der Steuergesetzgebung. Alle Versuche, zu einer Vereinfachung zu kommen, scheiterten. Die Kollegin Helga Schulz hat in über 50 Vorträgen bundesweit dafür gesorgt, dass immer mehr Menschen die Problematik erkennen:

• das Steuern über die Steuern misslingt immer mehr (Fördergebietsgesetz, Verlustvor- und Rücktrag) und führt nur zu einem undurchschaubaren Wust von Bestimmungen

• der Länderfinanzausgleich muss dringend geändert werden, um Anreize zu schaffen, die Steuerverwaltung in die Lage zu versetzen, Steuern nach Recht und Gesetz festzusetzen und zu erheben 

• die unteren und mittleren Einkommen müssen dringend entlastet werden (Finanzierung durch Einführung der Individualbesteuerung nach dem Modell der DSTG Hamburg u.a.)

• die Lohnnebenkosten sind durch Finanzierung der nicht beitragsfinanzierten Leistungen über die Steuer zu senken (Finanzierung aber eine Umstellung des Umsatzsteuersystems, die VorsteuererschIeichung vermeidet).

Das Problem einer kaum noch durchzusetzenden Einkommensteuer wurde verschärft durch das Phänomen der Masseneinsprüche. Die Bürger vertrauten nach der Behandlung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes über die Kinderfreibeträge 1993 bis 1995 dem Gesetzgeber nicht mehr. Da nur die wenigen, die Einspruch eingelegt hatten, durch die Neufassung des Gesetzes begünstigt wurden, wollten sie nie wieder die Dummen sein. Jede Norm wurde angefochten, die Steuerverwaltung ertrank in Rechtsbehelfen. Schließlich half sich der Gesetzgeber, indem er für vorläufig erklären ließ, was mit Masseneinsprüchen bedacht wurde. Der Fluch der bösen Tat: überquellende Archive, da Akten mit vorläufigen Bescheiden nicht vernichtet werden konnten. Die DSTG Hamburg hat vergeblich eine andere Lösung angemahnt.

Im Jubiläumsjahr 1998 standen zwei Themen im Vordergrund. 

Die sehr schwierige Tarif-/Einkommensrunde führte erst nach einem zweiwöchigen Schlichtungsverfahren mit einstimmigem Schlichterspruch zu einer Einigung. Der Schlichterspruch stellte im Gegensatz zu „Angebot“ der Arbeitgeber, das einen dramatischen Sozialabbau für die Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes bedeutet hätte, einen vertretbaren Kompromiss dar. Insbesondere konnten Kürzungen der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, „Null-Perspektive“ bei der Angleichung der Ost-Gehälter, Streichung von Überstundenregelungen sowie Verrechnung der prozentualen Erhöhung mit der Zusatzversorgung verhindert werden.

Zweites Thema war das zum 1. Januar 1999 beabsichtigte Versorgungsreformgesetz. Durch den Einsatz des dbb und der Mitgliedsgewerkschaften in den Verhandlungen konnten zwar einige Einschnitte verhindert werden, dennoch mussten einige „Kröten geschluckt werden“. Besonders schmerzlich war die vorgesehene Einbehaltung von 0,2 % der jährlichen Besoldungs- und Versorgungsanpassungen über einen Zeitraum von 15 Jahren zur Bildung eines  „Sondervermögens“ zur weiteren Finanzierung der Versorgung. 

Dienststellen intern wurden erste Überlegungen zur Neuorganisation der Veranlagung (Pronova) unter Beteiligung von Gewerkschaften, Personalrat und Beschäftigten angestellt.

Um die Beschäftigten in Rechtsstreitigkeiten bei dienstlichen Belangen noch besser zu unterstützen, gründete der DBB das Dienstleistungszentrum Nord mit Sitz in Hamburg zum 1. Juli 1998.

Zu Beginn des Jahres 1999 wurde die Hamburgische Beihilfeverordnung erneut zu Ungunsten der Beschäftigten geändert. Unter anderem wurden Zuzahlungen erhöht und Wahlleistungen bei Krankenhausaufenthalten als nicht beihilfefähig definiert. DBB und DSTG Hamburg hatten die Änderung mit Hinweis auf den unterschiedlichen Standard der Beihilfefähigkeit von Wahlleistungen in Landes- und Bundesrecht abgelehnt.

Die Frage der amtsangemessenen Alimentation (hier: kinderreicher Beamtenfamilien) beschäftigte die Gewerkschaften bereits 1999 und sollte in den folgenden Jahrzehnten weiterhin die gewerkschaftliche Arbeit beeinflussen. Ausgangspunkt war die Feststellung des Bundesverfassungsgerichtes im November 1998, dass die Besoldung von Richtern und Beamten mit mehr als zwei Kindern bereits im Zeitraum 1988 bis 1996 zu gering war. Diese Feststellung hatte für die Kolleginnen und Kollegen gravierende Auswirkungen.

So nutzte der Bundesinnenminister zum einen dieses rückwirkende Urteil zur Begründung, die zugesagte Anpassung der Beamtenbezüge an das Ergebnis der Tarifrunde 1999 um zwei Monate zu verschieben und so die Gegenfinanzierung von Zahlungen für die Jahre 1988 – 1999 als Folge der Entscheidung des BVerfG zu erreichen. 

Zum anderen waren durch die partielle Umsetzung im Rahmen des Familienförderungsgesetzes (Erhöhung des Kindergeldes, Einführung eines Betreuungsfreibetrages mit erforderlicher Günstigerprüfung) ab 1. Januar 2000 neue Einsprüche bereits vorprogrammiert sowie durch die rückwirkende Erhöhung des Kinderfreibetrages Nachbesserungen von Einkommensteuerbescheiden im Millionenumfang zu erwarten.

Das Dienstrechtsreformgesetz vom 2. Juni 1999 führte neben positiven Änderungen (z.B. Möglichkeit einer voraussetzungsfreien Teilzeit bzw. einer unterhälftigen Teilzeit aus familienpolitischen Gründen) auch zur zwangsweisen Einstellungsteilzeit auf 75% der regelmäßigen Arbeitszeit im gehobenen und höheren Dienst (befristet auf 5 Jahre) und der Heraufsetzung der Antragsaltersgrenze vom 62. auf das 63. Lebensjahr. Die Einstellungsteilzeit sollte noch zu einem Rechtsstreit führen, der im August 2000 durch ein Urteil des Oberverwaltungsgericht Hamburg zur Aufhebung dieser Maßnahme beendet wurde. Betroffene DSTG-Mitglieder wurden dabei vom dbb Dienstleistungszentrum vertreten.

Für zusätzlichen Ärger sorgte der Entwurf des Gesetzes über die Anpassung der Besoldungs- und Versorgungsbezüge 2000 und 2001; die Bezüge sollten nur in Höhe der Inflationsrate auf Grundlage der Daten des Statistischen Bundesamtes angepasst werden. (voraussichtlich 0,7 bzw. 1,6 %). Da Beteiligungsgespräche zwischen DBB und dem Bundesinnenminister nicht zu einer Einigung führten, fand am 19. Oktober 1999 in Berlin eine Demonstration mit 35.000 Teilnehmern, davon 2000 aus Hamburg, statt.

Zum 1. Januar 2000 wurde die Altersteilzeit für hamburgische Beamtinnen und Beamte eingeführt. Ab Vollendung des 58. Lebensjahr (bzw. 55.Lebensjahr für Schwerbehinderte, Beamte des Vollzugsdienstes und der Feuerwehr) konnte die Arbeitszeit auf 60% der regelmäßigen Wochenarbeitszeit reduziert und entweder als durchgehende Teilzeit bis zum Eintritt in den Ruhestand oder als Blockmodell gestaltet werden.

Dem Bundesverfassungsgericht wurde die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob im Jahr 1996 die unterschiedliche Besteuerung der Beamtenpensionen und der Renten noch verfassungsgemäß war bzw. mindestens der Versorgungsfreibetrag zu niedrig war.

Auf dem Steuergewerkschaftstag 2000, der am 29.02. unter dem Motto „Steuern 2000 – Chance oder Chaos?“ stattfand, wurde Helga Schulz erneut zur Vorsitzenden gewählt. Dieter Schröder, Michael Thelen und Hermann Löhlein als Stellvertreter sowie Margrit Schröder, Gabriele Keßler, Michael Jürgens, Tjark-Ture Diercks, Stefan Müller und Brigitte Blech bilden den neuen Vorstand. Der langjährige Kassenführer Bernd Dreyer wurde zum Ehrenmitglied ernannt.

Am 10. November 2000 erhält Helga Schulz als Vorsitzende des Deutschen Frauenrates für ihr langjähriges frauenpolitisches Engagement, das gewerkschaftlich schon in den 60er Jahren in Hamburg und auf Bundesebene begann, das Bundesverdienstkreuz am Bande.  

Am 6. Dezember 2000 zogen Mitglieder von Vorstand und Hauptvorstand der DSTG mit einem Nikolaus vor das Personalamt und machten dort den heftigen Protest der Kollegenschaft deutlich. Der Nikolaus überreichte Staatsrat Prill einen Teil der Protestkarten (über 1.000) für Bürgermeister Ortwin Runde und die VertreterInnen der DSTG machten deutlich, dass für die hohen Leistungen, die in der Steuerverwaltung erbracht werden müssen auch ein angemessenes Gehalt notwendig ist. Gleichzeitig wurde damit auch gegen die schleppende Beihilfebearbeitung protestiert.

Mit der Postkartenaktion wurde vom Bürgermeister gefordert, sich im Bundesrat für eine Nachbesserung des Besoldungsgesetzes einzusetzen. 

Diese Protestaktion hatte – wenn auch nur kleine – Erfolge: Die Beihilfebearbeitung wurde neu organisiert und es gab tatsächlich zeitweise eine Verkürzung der Bearbeitungszeiten und Bürgermeister Runde konnte im Bundesrat einen Kompromiss und eine leichte Verbesserung bei der Besoldungserhöhung erreichen.

Vom 13. – 15. September 2001 trafen sich 788 Sportler und rd. 450 Fans aus dem gesamten Bundesgebiet zum 26. Deutschlandturnier der Finanzämter erstmalig in Hamburg. Das Turnier wurde von der DSTG und der in 1998 extra gegründeten Finanzsportgemeinschaft OFD Hamburg e.V. mit Unterstützung der Deutschen Finanzsporthilfe (DFSH) organisiert. Trotz der traurigen Begleitumstände vom 11. September 2001 in New York wurde das Turnier ein Erfolg, auch weil das Rahmenprogramm angepasst wurde. So wurde auf eine Eröffnungsfeier verzichtet und eine Delegation von Vertretern der DSTG übergab beim amerikanischen Generalkonsulat eine Beileidserklärung mit zahlreichen Unterschriften der Teilnehmer sowie ein Blumengesteck. 

Wegen der weiteren Bestrebungen der Politik zur Kürzung der Pensionen und der Zusatzversorgung der Angestellten (in Hamburg Zahlungen nach dem Ruhegeldgesetz) gab es eine erneute Demonstration in der Treptow Arena in Berlin, an der sich am 10. November 2001 auch eine große Delegation der DSTG Hamburg beteiligte.

Die Demonstration in Berlin zeigte schließlich Wirkung, denn bei den am 13. November 2001 gestarteten Tarifverhandlungen wurden Eckpunkte festgelegt, die die bisher geplanten  Einschnitte abmildern sollten.

Wie erwartet erklärte das Bundesverfassungsgericht am 6. März 2002 die unterschiedliche Besteuerung von Beamtenpensionen und Renten für nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Der Gesetzgeber wurde verpflichtet bis spätestens 1. Januar 2005 eine Neuregelung zu schaffen. Damit war erneut mehr Arbeit für die Finanzverwaltungen zu erwarten.

Trotz massiver Proteste von Gewerkschaften und Kollegenschaft wurden nach dem Versorgungsänderungsgesetz ab dem Jahr 2003 die Höhe der zu erreichenden Pensionszahlungen von 75 % des Endgehaltes im Laufe von mehreren Jahren auf 71,75 % und somit auch das Witwengeld auf ca. 55 % gekürzt.

Und schon wieder mussten die Gewerkschaften zu Demonstrationen aufrufen, denn der Hamburger Senat plante weitere Sparmaßnahmen auf dem Rücken seiner Beschäftigten. Obwohl sich die Beamtinnen und Beamten die bisherige Arbeitszeitverkürzung durch Gehaltsverzicht „erkauft“ hatten, sollte die Arbeitszeit – ohne Ausgleich – wieder auf 40 Stunden wöchentlich erhöht werden. Außerdem sollte die Sonderzuwendung ersatzlos gestrichen werden.

Die Arbeit der Kollegenschaft in den Finanzämtern wurde durch weitere Erschwernisse, wie die Einführung der Bauabzugssteuer, hinter der ein hoher Aufwand bei relativ geringen Erfolgen gegenüber steht oder die Schwierigkeiten mit der sehr schlecht funktionierenden ELSTER-Plattform. In Gesprächen mit dem Senator oder über den dbb hamburg an den Bürgermeister wurden diese und andere Probleme immer wieder vom Vorstand der DSTG Hamburg problematisiert.

Da die Bundesländer weitere einschneidende Maßnahmen für das Besoldungsrecht planten (Kürzung/Streichung Sonderzuwendung, Streichung Urlaubsgeld, Einführung der 42-Stunden-Woche) fand am 14. Dezember 2002 erneut eine Großdemo in Berlin statt. Rund 2.000 Kolleginnen und Kollegen der Hamburger Behörden (davon allein 800 aus der Steuerverwaltung) machten sich auf den Weg in das eiskalte Berlin, wo sich rund 40.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus ganz Deutschland einfanden, um gegen die weiteren Sparmaßnahmen zu protestieren. Der geballte Unmut der Teilnehmer hatte in Berlin und bei den Regierenden der Länder einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen.

Die Ehrenvorsitzende Helga Schulz verstarb leider am 7. Januar 2021. Die DSTG Hamburg ist der Verstorbenen zu großem Dank verpflichtet und wird das Andenken an sie in hohen Ehren halten.